Steve Winwood: Er sang, als hätte er drei Ehen hinter sich

18.05.2025Urban PopNDR KulturPeter Urban und Ocke Bandixen —   –  Details

Steve Winwood

Seine reife Soulstimme, die im Kontrast zu seinem jungen Aussehen stand, überraschte Steve Winwoods Zuhörer in den Sechzigern. In «Urban Pop» sprechen Peter Urban und Ocke Bandixen über das Leben des Ausnahmemusikers. — Wer Steve Winwood Mitte der Sechziger im jungen Teenager-Alter sah und ihn zum ersten Mal singen hörte, könnte überrascht gewesen sein. Denn dieser blasse, schüchterne Junge sang mit einer solch beeindruckenden, gefühlvollen und ausgereiften Stimme, wie sie zu dieser Zeit eigentlich nur bei Soul-Legenden wie Ray Charles zu hören waren. — NDR Musikexperte Peter Urban erinnert sich im ARD Podcast Urban Pop: Ich hörte ihn zum ersten Mal im Radio, da war er so wie ich damals 15 oder 16 Jahre alt. Es lief ›Every Little Bit Hurts› von der ›Spencer Davis Group›, in der er Mitglied war. Er sang mit so viel Gefühl – als käme er aus den amerikanischen Südstaaten und hätte schon drei gescheiterte Ehen hinter sich. Aber er war ein 16-jähriger Teenager, das war beeindruckend.» — Winwood wurde 1948 in Handsworth in Birmingham geboren. NDR Musikredakteur Ocke Bandixen berichtet: «Steves fünf Jahre älterer Bruder Mervin, Muff genannt, bekam irgendwann eine Gitarre geschenkt. Muff war frustriert, weil er sehr viel übte und dabei lange recht erfolglos war, während sein kleiner Bruder Steve die Gitarre in die Hand nahm und einfach spielen konnte.» Steve, der keine Noten lesen konnte und deshalb nach Gehör spielte, war auch am Klavier talentiert, sang zudem im Kirchenchor. «Er war ein Ausnahmetalent», resümiert Bandixen. — Zu jung: Hinter dem Klavier versteckt Winwoods Vater Lawrence, ein Eisengießer in einer Stahlfabrik, spielte an Wochenenden mit seiner Tanzband auf Veranstaltungen wie Hochzeiten und Festen. Bereits mit elf Jahren spielte Steve in der Band des Vaters mit, gemeinsam mit seinem Bruder Muff brachten Sie Rock ›n Roll Musik in die Tanzband, weil diese damals an Popularität gewann. «Steve durfte aufgrund seines jungen Alters spätabends aber eigentlich nicht auftreten, deswegen drehten sie das Klavier um, um ihn dahinter zu versteckten», berichtet Urban amüsiert. — Steve vernachlässigte die Schule Wohl auch aufgrund der nächtlichen Auftritte ließen die schulischen Leistungen des jungen Steve zu wünschen übrig. Urban erzählt: «Steve war mittelmäßig in der Schule. Weil er und Muff lokal mit ihrer Musik erfolgreich waren, standen die Brüder oft in dortigen Zeitungen. Das hat der Schuldirektor vielleicht auch gelesen, der mochte Steve jedenfalls nicht.» Im Alter von etwa 14 Jahren flog Steve von der Schule. Urban meint: «Schade, dass eine Schule überhaupt nicht erkannte, was für ein unfassbares musikalisches Talent in diesem Jungen steckte.» — Begleitband für Muddy Waters und John Lee Hooker Ihre lokale Berühmtheit verschaffte den Brüdern Winwood Auftritte mit großen Musikstars, darunter der Blueslegende Muddy Waters und der Singer-Songwriter John Lee Hooker. «Früher hatten Künstler, die aus Amerika kamen, keine eigene Band dabei. Und in England war es üblich, dass lokale Bands diese Musiker begleiteten», erzählt Urban. «Das ist dann wahrscheinlich seine Schulbildung gewesen», meint Bandixen amüsiert.

Spencer Davis Group: Keep On Running — Nachdem der junge Musiker Spencer Davis bei einem Konzert der Winwood-Brüder auf sie aufmerksam geworden und schwer beeindruckt war, initiierte Spencer die Gründung einer gemeinsamen Band. So formierte sich mit Steve, Muff, Spencer und dem Schlagzeuger Pete York die «Spencer Davis Group», die 1966 mit «Keep On Running» ihren größten Hit hatte. «Mit dem Song verdrängten sie die Beatles mit «Day Tripper» von der Chartspitze, das ist schon ein Statement», meint Urban.

Keine Lust aufs Rampenlicht Dass die Band nach Spencer Davis benannt war und der Rockmusiker damit im Rampenlicht stand, war Steve laut Urban recht: «Spencer konnte gut quatschen, er gab dann auch die Interviews. Steve hatte aber auch keine Lust dazu, er war immer sehr schüchtern.» — Die Band ging im Van auf Tour durch England. «Sie fuhren durch das Land, trafen auch andere Bands und Musiker. In dieser Zeit begegnete Steve auch Eric Clapton, welcher sein Freund wurde.» Als der Musikproduzent Chris Blackwell die Band in einem Club in Birmingham sieht, wird er ihr Manager und verschafft ihnen einen Plattenvertrag. 1965 erscheint das Blues-Cover-Album «Their first LP», welches Platz 6 der britischen Albumcharts erreicht. Der Song «Dimples», gecovert von John Lee Hoker, landet laut Urban damals in den Top 20 der britischen Charts.

Sehnsucht nach Jugend und neuer Musik »Während die Spencer Davis Group auf ihrer letzten Tour im Frühjahr 1967 Theaterhallen füllten, war da immer diese Freundschaftscrew um Steve dabei, darunter Chris Wood und Jim Capaldi», so Urban. Die Freunde schrieben gemeinsam Musikstücke, blödelten herum, rauchten. «Er hatte ja nie eine echte Jugend gehabt. Das waren jetzt Jungs im gleichen Alter, mit denen er das so ein bisschen nachholen konnte», erzählt Urban. — In seiner Zeit bei der Spencer Davis Group spielte Steve immer wieder mit dem Gedanken, die Band zu verlassen. Er wollte musikalisch neue Wege gehen, interessierte sich für die Beatles, für Jazz und ganz neue Musikstile. «Ich habe aus einem Buch entnommen, dass er es so ein bisschen leid war, immer als der Junge vorgezeigt zu werden, der wie Ray Charles singt», erzählt Urban.

Traffic: Erster Album «Mr. Fantasy — Steve verließ die Spencer Davis Group im Jahr 1967, gründete kurz darauf mit Chris Wood, Jim Capaldi und Dave Mason, einem Freund von Capaldi, die Band Traffic. Die Band lebte gemeinsam in einem Cottage im englischen Dorf Aston Tirrold. «Das Landhaus war ein Kreativort, sie hatten die Veranda als Bühne ausgebaut und genossen dort ihre künstlerische Freiheit.» — Das erste Album «Mr. Fantasy», auf dem der Hit «Paper Sun» erschien, ist laut Urban ein Klassiker: «Sie vermischen komplizierte Taktwechsel und Harmonieklänge. Es gibt brennende Gitarrensoli, großartige Riffs und Steves soulige Bluesstimme – das sollte sich jeder anhören.» — Innerhalb der Band kam es zu Streitigkeiten, weil Dave Mason bei seinen Songs keine Kompromisse machen wollte. «Er arbeitete nicht auf die kollektive Art, er wollte immer, dass seine Lieder so gespielt wurden, wie von ihm geschrieben», erzählt Urban. Nach der ersten Platte verließ Mason die Band, er kam aber immer mal wieder dazu, sodass Traffic zu verschiedenen Zeitpunkten mal als Trio, mal als Quartett bestand. Nach dem Album «Last Exit» im Jahr 1969 lösten sich Traffic auf. Die Band kam aber in den Folgejahren in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder zusammen.

Blind Faith: Winwood, Clapton, Baker und Grech Nachdem sich auch Winwoods Freund Eric Clapton von seiner Band Cream getrennt hatte, gründeten sie im Jahr 1969 die gemeinsame Band «Blind Faith». Ginger Baker, der mit Clapton bei Cream gespielt hatte, wurde auf Winwoods Ansinnen und trotz Claptons Zweifeln Teil der Band, außerdem stieg Ric Grech ein. Da Clapton und Winwood zu dieser Zeit bereits bekannte Größen waren, eilte der Band ein Ruf als «Supergroup» voraus, hinter dem auch ein gewisser Erwartungsdruck stand. Urban erzählt: «Clapton und Winwood wollten eigentlich in Ruhe Musik machen. Sie wollten dieses Label überhaupt nicht.» — 1969 erschien das Album «Blind Faith». Doch bereits nach der darauf folgenden ersten Tournee verließ Clapton die Band, um mit «Delaney & Bonnie» neue musikalische Wege zu gehen. Gründe für seinen Ausstieg sollen aber auch der schwelende Konflikt zwischen ihm und Baker sowie Claptons Alkohol- und Dorgenprobleme gewesen sein. «Später sagte Clapton in einem Interview, dass er das Gefühl hatte, Winwood im Stich gelassen zu haben und sich deshalb schlecht fühlte.»

Traffic in der On-Off-Beziehung Nachdem Winwood sich an einem Soloalbum versuchte, endete dieses als neues Album von «Traffic», weil die Band wieder zusammenfand. Die Lust an musikalischen Experimenten ergab eine Reihe von gefeierten Alben und vielen Auftritten, bis sich die Band 1974 auflöste. Eine kurzfristige Reunion 1994 war der 1983 bereits verstorbene Chris Wood nicht mehr dabei.

Winwoods Solojahre: Texte von Will Jennings Winwood spielte auf zahlreichen Platten als Gastmusiker, darunter B.B. King, Sean Phillips und Eddie Harris. Irgendwann unternahm er jedoch einen zweiten Anlauf für eine Solokarriere. 1977 nahm er die Platte «Steve Winwood» auf, welche allerdings nicht sehr erfolgreich war. Bandixen erzählt: «Er muss dadurch sehr verunsichert gewesen sein.» Urban meint: «Er brauchte jemanden, der für ihn die Texte schreibt. Der amerikanische Songwriter Will Jennings hat ihm dann zu schönen, glaubwürdigen Songs verholfen.» So entstand unter anderem «While You See A Chance», laut Urban ein authentisches Lied über Mut und Aufbruch.

Warme Sythieklänge, «Valerie» und «Call On Me» — Im Podcast würdigen Urban und Bandixen Winwoods Talent, aus Synthesizern warme Klänge zu generieren. Bandixen bemerkt: «Synthiemusik hat ja eigentlich was Künstliches, Kühles. Das ist bei ihm überhaupt nicht der Fall.» Auf der Platte «Talking Back To The Night» erscheint 1982 «Valerie» – ein Hit, der später zum Radioklassiker wird und 2004 die Vorlage für den Clubhit «Call On Me» von Eric Prydz liefert.

Solokarriere in den Achtzigern Steve Winwood gelingt es, sich in der Popmusik der Achtziger Jahre erneut zu einer bedeutenden Größe zu machen. «Higher Love» und «Back in the High Life» finden Anklang bei alten und neuen Fans. Remixe alter Hits werden zu Dauerbrennern im Radio. 2009 findet sich Winwood noch einmal zu einer ausführlichen Tournee mit seinem Freund Eric Clapton zusammen, dokumentiert im Album «Live at Madison Square Garden». — Im Jahr 2023 feierte Winwood seinen 75. Geburtstag. Er ist seit 1987 mit der Amerikanerin Eugenia Crafton verheiratet und lebt auf einem Bauernhof im englischen Cotswolds. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder.

 
 

SK-hehi