Die Stimme des Jahrhunderts / 100. Geburtstag von Dietrich Fischer-Dieskau

28.05.2025NewsTagesspiegelFrederik Hanssen —   –  Details

Dietrich Fischer-Dieskau

Kaum ein Sänger war im 20. Jahrhundert so einflussreich wie Dietrich Fischer-Dieskau. Eine persönliche Erinnerung an den Bariton, der am 28. Mai 100 Jahre alt geworden wäre. — Ich durfte ihn noch persönlich kennenlernen, als soignierten alten Herren, der mich, den journalistischen Jungspund, zum Interview in seiner Westend-Villa empfing. 2001 war das, wir sprachen nicht nur über das Kunstlied, das er in seiner langen Karriere in ungekannte Höhen erhoben hatte, sondern auch über diktatorisch auftretende Regisseure, mangelnde Allgemeinbildung und die wirtschaftlichen Probleme der einst so mächtigen Plattenfirmen.

«Der Thomas Mann unter den Sängern» — Dietrich Fischer-Dieskau war ein umfassend gebildeter Bürger, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt. Vor allem aber war er ein Jahrhundertkünstler. Eine halbe Ewigkeit hat er die Klassik-Szene dominiert und ganze Generationen von Sängerinnen und Sängern geprägt. Christian Gerhaher, aktuell der bedeutendste Lied-Interpret deutscher Zunge, nennt den Bariton in einer Hommage zum 100. Geburtstag im Fachmagazin «Opernwelt» nicht nur ein «Genie», sondern auch den «Thomas Mann unter den Sängern». — Schier unübersehbar ist in der Tat die Zahl der Aufnahmen, die der 2012 Verstorbene hinterlassen hat – dabei lieferte er alles, was er sich vornahm, in «unfassbar konstanter Qualität» ab, schwärmt Gerhaher. Ob es nun Schubert-, Brahms- oder Hugo-Wolf-Lieder waren, Mozart- und Wagner-Opern oder zeitgenössische Kompositionen, die oft extra für ihn entstanden.

Die Fans nennen ihn DiFiDi — In Fachkreisen wird er bis heute nur «DiFiDi» genannt, gleichermaßen liebe- wie ehrfurchtsvoll. So eine Abkürzung als Ehrentitel wird höchst selten vergeben; aus dem Klassikbereich kenne ich sonst nur noch ASM, also Anne-Sophie Mutter. — Als ich anfing, Livekonzerte zu besuchen, stand DiFiDi schon im Abendrot seiner Karriere. «Ah, heute spricht Fischer-Dieskau», pflegte der Vater einer Freundin über die Auftritte zu sagen, bei denen der Altmeister die Worte mehr deklamierte als sie zu singen – aber natürlich immer noch in hochdifferenzierter Textausdeutung. Er dirigierte auch und malte in Öl. — Ich war zu dieser Zeit allerdings vor allem ein glühender Verehrer seiner Ehefrau Julia Varady. Die ungarische Sopranistin begeisterte mich als Interpretin von auratischer Bühnenpräsenz, die aus ihren Figuren Menschen mit bewegendem Schicksal machte. Sie lebt heute zurückgezogen am Starnberger See.

 
 

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