28.05.2025 – News – Tagesspiegel – Nadine Lange — – Details
Sly Stone
Als Kopf der Band Sly and the Family Stone verband er Funk, Soul und Psychedelic Rock – und gründete eine diverse Band. Jetzt ist Sly Stone mit 82 Jahren gestorben. — In der Mitte des Songs springen die Geschwister von ihren Klavierhockern auf, schnappen sich ein Mikro und hüpfen zwischen den TV-Studiogästen der ersten Reihen herum. «Higher, higher», singen Rosie und Sly Stone und zeigen nach oben, während das Publikum – die Herren in Anzügen, die Damen in Blusen – schüchtern lächelnd zu ihnen aufschaut. — Niemand steht auf oder tanzt, dabei entfacht die Band auf der Bühne einen mitreißenden Groove. Die Geschwister singen unbeirrt weiter, klatschen, stampfen und kehren für das Songfinale zurück an ihre Plätze. Immerhin: Sie bekommen viel Applaus.
Sly and the Family Stone traten in Woodstock auf — Das Medley aus Hits wie «Everyday People», «Music Lover», «Dance to the Music» und «I Want To Take You Higher», das Sly and the Family Stone an diesem Dezembertag des Jahres 1968 in der «Ed Sullivan Show» aufführt, zeigt die zwei Jahre zuvor in San Francisco gegründete Formation auf einem Höhepunkt ihres Schaffens und macht ihren genreverschmelzenden Sound auch im US-amerikanischen Hinterland bekannt. — Mit ihren bunten Glitzerklamotten, Afros, Miniröcken und Fransenwesten sieht die siebenköpfige Band einige Monate nach ihrem triumphalen Woodstock-Auftritt aus wie ein Flower-Power-Traum. Dass hier Schwarze und Weiße, Männer und Frauen gemeinsam musizieren, hat aber auch eine politische Botschaft – zumal im Jahr der Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy. — «Don›t hate the black. Don›t hate the white», hatte Sly Stone zu Beginn des TV-Auftritts gesagt und damit die Kernaussage seines hippiesken Hits «Everyday People» zusammengefasst. Darin heißt es unter anderem: «I am no better and neither are you / We are the same, whatever we do», um im Refrain zu dem Schluss zu kommen, dass wir alle zusammenleben müssen. — Allerdings konnte Stone auch anders: «Don›t Call Me Nigger, Whitey!» heißt eine klare Titel-Ansage auf dem Durchbruchsalbum «Stand!» aus dem Mai 1969. Es verkaufte sich zwei Millionen Mal und gehört zu den einflussreichsten Werken der Epoche. — Don›t hate the black. Don›t hate the white.
Sly Stone dachte den Funk von James Brown weiter, mischte psychedelischen Rock hinzu und flog mit seiner Family mindestens genauso hoch wie sein Zeitgenosse George Clinton mit seinen P-Funk-Band-Gruppen Parliament und Funkadelic. Als «Neo-Super-Blackness» bezeichnete Kulturtheoretiker Greg Tate das einmal. — Zur Welt kommt Sly Stone – bürgerlich Sylvester Stewart – im März 1943 (manche Quellen nennen auch 1944 als Geburtsjahr) in Denton, Texas. Er wächst im kalifornischen Vallejo auf, wo er mit drei seiner vier Geschwister in der Gospelband The Stewart Four singt.
Sly Stones Anfänge in der Familien-GospelgruppeAls Leadsänger war er schon mit fünf Jahren im Zentrum der Aufmerksamkeit. «Die Leute haben gebrüllt und wollten ihn anfassen», sagte seine Mutter in einem «New York Times»-Artikel. «Man musste sie manchmal zurückhalten.» — Sylvester, der sich nach seinem Spitznamen Sly nennt, lernt mühelos verschiedene Instrumente und spielt als Teenager in lokalen R-›n›-B-Bands Keyboard, Gitarre und Schlagzeug. Auch als DJ ist er unterwegs. Aus seiner ersten eigenen Gruppe Sly & the Stoners wird schnell Sly and the Family Stone, in der neben seiner Schwester Rosie (Klavier) und seinem Bruder Freddie (Gitarre) auch Jerry Martini am Saxofon, Larry Graham Jr. am Bass, die Trompeterin Cynthia Robinson und der Schlagzeuger Greg Errico dabei sind. — Schon beim ersten Treffen in seinem Keller hat der Bandleader eine klare Vision: «Sly legte uns allen dar, wie wir auszusehen und zu klingen hatten. Er war so fokussiert», erinnerte sich Drummer Errico an den Start der Gruppe. Der Fokus geht allerdings ab den siebziger Jahren immer stärker verloren, was vor allem am zunehmenden Drogenmissbrauch liegt.
Die Band zieht 1970 in ein Haus in Beverly Hills, wo sie mit «There›s A Riot Going On» noch ein letztes Meisterwerk aufnimmt, das 1971 auf Platz eins der Charts kommt und mit «Family Affair» einen ihrer größten Hits enthält. Bei dem entspannten Midtempo-Song setzte Sly Stone eine Drum Machine ein, damals eine Novität. — Der Erfolg kann den Abstieg der Band nicht aufhalten, Errico und Graham Jr. steigen aus. Das Album «Fresh» von 1973 kommt zwar noch in die Top Ten, doch ab Mitte des Jahrzehnts ist klar, dass Sly Stone nicht mehr auf der Höhe der Zeit operiert, die Discowelle spült seinen Sound an den Rand. Er ist zudem dafür bekannt, notorisch zu spät oder gar nicht zu Auftritten zu erscheinen, hatte Probleme mit der Justiz und der Gesundheit. — In den Achtzigern gibt es eine von George Clinton unterstützte Comebacktour und 1993 die Aufnahme in die Rock ›n› Roll Hall of Fame, doch eine nachhaltige Rückkehr ins Musikgeschäft gelingt Sly Stone nicht mehr. Am Montag ist der Musiker in Los Angeles an einer langjährigen Lungenerkrankung gestorben. Zur gleichen Zeit kam es in der Stadt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Nationalgarde.
Der Titeltrack von «There›s A Riot Going On», dessen Cover eine US-Flagge mit Sonnen statt Sternen zeigt, besteht aus vier Sekunden Stille. Sly Stone fand, dass keine Aufstände stattfinden sollten. —
SK-news