17.06.2025 – News – NZZ – Martin Meyer — – Details
Alfred Brendel
Er war nicht nur einer der bedeutendsten Pianisten seiner Generation, sondern auch ein humorbegabter Intellektueller. Jetzt ist Alfred Brendel im Alter von 94 Jahren gestorben. — «Der Interpret muss erwachsen sein.» Das war so ein typischer Brendel-Satz. Denn volljährig war für ihn nur der Interpret, der bereit ist, sich von den Werken sagen zu lassen, was sie sind: «Das ist ein Paradox, das nicht jeder begreift – vielleicht das Gegenteil dessen, was manche jungen Musiker sich vorstellen.»
Komponisten verstehenAber anders ging es nach Meinung des Pianisten nun einmal nicht, wenn Haydn nach Haydn klingen soll und Beethoven nach Beethoven. Alfred Brendel erlag nie der Versuchung, die Werke durch seine Persönlichkeit zu überwölben. Im Gegenteil: Die Individualität, die er im Konzert und im Tonstudio vorführen wollte, war stets einzig und allein die des Komponisten, den er gerade spielte. — Als er 16 Jahre alt war, sagte seine Klavierlehrerin zu ihm: «Sie können sich jetzt allein weiterhelfen.» Und das tat der 1931 in Mähren geborene, auf der Insel Krk, in Zagreb und Graz Aufgewachsene dann auch. Er zog zu einer alten Tante nach Wien, studierte dort beim großen Pianisten Edwin Fischer und machte sich daran, «ohne Protektion» eine Profikarriere aufzubauen.
Langfristige Karriereplanung«Ungeduldig war ich nicht», beschrieb Alfred Brendel rückblickend seine Lehr- und Wanderjahre. «Ich fühlte mein musikalisches Talent und hatte eine Ahnung, wohin es mich führen würde. Auf jeden Fall sah ich es als einen langfristigen Prozess und hoffte, als ich zwanzig war, auf ernsthafte künstlerische Früchte mit fünfzig.» — Und so kam es dann auch, Anfang der siebziger Jahre hatte sich sein Name in der Szene herumgesprochen, er wurde jetzt international eingeladen, die interessantesten Dirigenten wollten mit ihm zusammenarbeiten, die besten Orchester hatten ihn gerne zu Gast. Und seine Plattenfirma Philips machte die Mikros auf, wann immer er sich reif fühlte, um die Ergebnisse seines Nachdenkens über Musik aufzunehmen. 114 CDs kamen dabei schließlich zusammen. — 1971 zog Brendel nach London, weil er es in der «idyllischen Atmosphäre Wiens nicht länger aushalten konnte». Und er fand hier einen Menschenschlag vor, der seine Art von Humor sowie seine Abneigung gegen alles Modische bestens verstand.
Er richtete sich und seiner Familie im Stadtteil Hampstead ein Häuschen ein, das sich bald nicht nur mit Musikalia füllte, sondern auch mit jeder Menge Bildern, Büchern, Schallplatten, absurden und grotesken Fundstücken aus aller Welt. Ein Bildungsbürger ist er gewesen, im nobelsten Sinne des Wortes. — Alfred Brendel verstand sich zwar stets als Diener des Notentextes – aber niemals als ihr Lakai. Insofern war er mit einem Mönch vergleichbar, der sein Leben der Erforschung der Heiligen Schrift widmet. Folgerichtig hat er mit zunehmendem Alter dann auch sein Repertoire immer weiter eingeschränkt, fokussiert, konzentriert auf ein Minimum an Meisterwerken von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, deren er in seiner sechs Jahrzehnte währenden Karriere niemals überdrüssig wurde. — Parallel zur Tätigkeit als ausführender Musiker wuchs mit der Zeit das Interesse, sich auch schriftlich auszudrücken, als Essayist zunächst, später dann auch als Poet: «Die Gedichte sind unangemeldet gekommen», pflegte er zu sagen, «es war der schönste Bonus meiner späten Jahre.» Jean Paul und Hebbel haben ihn fasziniert, aber auch die Dadaisten waren dem literarischen Brendel Brüder im Geiste.
Ende 2008 nahm er seinen Abschied vom Konzertpodium, blieb aber weiter aktiv als Schriftsteller wie als reisender Gelehrter, hielt Vorträge, gab Meisterklassen und förderte junge Talente wie Till Fellner oder Kit Armstrong.
— Als ihm das Konzerthaus am Gendarmenmarkt 2017 eine Hommage ausrichtete, parierte der 86-Jährige hellwach die Fragen der Journalisten, erzählte bereitwillig Anekdotisches. Zum Beispiel über seine Mutter, die sich für ihren Filius eigentlich «einen Beruf mit Pensionsberechtigung» gewünscht hatte: «Sie konnte mir erst verzeihen, als ich meine erste Ehrendoktorwürde erhielt und sie in London vor der Queen knicksen durfte.» — Mit 94 Jahren ist Alfred Brendel jetzt in seinem Haus in London gestorben. —
SK-news