Hauspartys und die Flucht aus der Welt / Zum Tod von Brian Wilson, dem genialen Klangtüftler der Beach Boys

12.06.2025NewsFrankfurter RundschauHarry Nutt —   –  Details

Beach Boys

Zum Tod von Brian Wilson, dem genialen Klangtüftler der Beach Boys.
Manche meinten, ihn sogar beim Tanzen beobachtet zu haben, als Brian Wilson im Frühjahr 2004 sein lange als unvollendet geltendes Geniestück «Smile» in der Alten Oper Frankfurt zur Aufführung brachte. Es war ein dahinplätschernder Klangreigen, kompositorische Geistesblitze aus den 1960er Jahren, die lange als Missing Link der Popgeschichte betrachtet wurden.

Was wäre wohl geworden, wenn der ebenso geniale wie ehrgeizige Komponist der Beach Boys seine ambitionierten Popträume hätte umsetzen können? Drogen, Depressionen und ein mysteriöser Therapeut und Berater, der Wilson nicht nur um den Verstand, sondern beinahe auch um sein Vermögen brachte, ließen den Schöpfer beschwingter Melodien in einen jahrzehntelangen Dämmerzustand versinken, über den er später selbst die Zeilen textete: «I fell asleep in the bandroom / and woke up in history.» — In der Alten Oper stand vor 21 Jahren also ein Stück Musikgeschichte auf der Bühne, und Wilsons musikalischen Begleitern schien ihr Glück, daran teilhaben zu dürfen, selbst nicht geheuer zu sein. Vorsichtshalber umringten sie den wiedererwachten Brian Wilson und sangen mit ihm, gewissermaßen zum Aufwärmen, ein knappes Dutzend jener Beach-Boys-Klassiker, der Sound eines vergangenen Jahrhunderts, der einfach und verspielt daherkam, ehe die psychedelischen Experimente begannen. — Dabei hätte man gewarnt sein können. «In My Room», einer der frühen Hits der Beach Boys, in dem die Gesangsharmonien Hausparty feiern, handelt letztlich von der Flucht vor der Welt und einem Rückzug ins eigene Zimmer, dem man seine Geheimnisse anvertrauen kann. Ein psychologisches Bekenntnis, das mit Blick auf die schmerz- und wechselvolle Biografie Brian Wilsons als aufschlussreiches Zeugnis auch nachträglich tief blicken lässt. — Dabei waren die Beach Boys doch bloß eine kalifornische Familienband, zu den Brüdern Carl, Dennis und Brian gesellte sich deren Cousin Mike Love und Al Jardine, ein gemeinsamer Schulfreund. Ein Klischee mit tragischem Gefälle. Murry Wilson, der Vater, erkannte die Talente seiner Söhne und förderte sie, galt aber auch als tyrannischer Drahtzieher hinter der Band. In seiner Autobiografie widersprach Brian Wilson zwar der These, dass die Taubheit seines rechten Ohrs von Schlägen des Vaters herrührte. Diese allerdings hatte Dennis Wilson, der 1984 einem Cocktail aus Valium und Kokain erlegen war, als Gerücht vom unbeherrscht prügelnden Vater glaubhaft in Umlauf gebracht.

Unerschöpfliche Sommerlaune Die Rhythmen des Ruhms aber verliefen so: Nach Anlaufschwierigkeiten schlug der Surfin‹-Sound als chartfähige Form des Rock›n›Roll ab 1962 ein, obwohl das Image von sonnengebräunten Wellenreitern allenfalls auf Dennis Wilson zutraf. Spätestens mit dem 1963 erschienenen Hit «Surfin› USA» war eine Marke geboren, das Muster einer schier unerschöpflichen Sommerlaune. Mit wachsenden Erfolgen wuchsen die Ängste, Brian Wilson entwickelte eine Bühnenphobie und beschränkte sich schließlich darauf, Songs zu schreiben und das typische Bandgeschehen den anderen zu überlassen. — Eine Aufgabenteilung, die nicht lange gut ging. Wilsons Kompositionen aus der selbst gewählten Isolation wurden komplexer, das hinreichend gefeierte Album «Pet Sounds» von 1966 glich einem Exzess der Einfälle, zu dem Waldhörner, Theremine, klappernde Löffel und Fahrradklingeln erklangen. Den Namen des Albums soll ein gereizter Mike Love beigesteuert haben, indem er den Stoßseufzer aus stieß: «Das Album klingt, als sei es in einem Zoo aufgenommen worden.» Wiederholt beklagte er sich, Wilsons Ideen nicht umsetzen zu können. — Die Musikkritiker überschlugen sich derweil mit Beatles-Vergleichen, waren die Liverpooler mit «Sergeant Pepper›s Lonely Hearts Club Band» doch ähnlich innovativ unterwegs. Derart verkürzt ergibt es ein Kapitel Pop mit rasanter Tendenz ins Dramatische. Das Albumprojekt namens «Smile», zu dem Brian Wilson seinen Freund Van Dyke Parks als Texter hinzugezogen hatte, sollte noch weiter gehen, scheiterte jedoch an Wilsons psychischer und künstlerischer Erschöpfung. Tragik, Versagensängste und Mutmaßungen über eine kreative Inselbegabung bilden einen Dreiklang zu Wilsons Karriere, der einem Hollywooddrehbuch gleicht, das in dem Film «Love & Mercy» unter der Regie von Bill Pohlad 2014 auch realisiert wurde, mit Paul Dano als jungem Brian Wilson und John Cusack als altem. — Doch so sehr der Film eine Version dessen liefert, wie sich berstender Ruhm und psychische Konflikte zu einem glücklichen Ende dank der aufopferungsvollen Hilfe von Melinda Ledbetter fügen, die Wilson dann auch heiratet, erschließt sich doch nicht die berückende Schönheit von Liedern wie «God Only Knows» und «Lay Down Burden», mit denen Brian Wilson ewig währende Kleinode hinterlässt. Beim Schwelgen in seinen Liedern entkommt man dem Trivialen letztlich nie. Warum auch?

Die Anerkennung war ihm gewiss Die Wiedergeburt des Livemusikers Brian Wilson ereignete sich um das Jahr 2000 herum, signifikantes Zeugnis davon ist das Album «Live At The Roxy Theatre», ein Mitschnitt zweier Konzerte aus dem gleichnamigen Club in Los Angeles. Eine Handvoll junger Musiker um den Bandleader Darian Sahanaja hatten Wilson Demo-Aufnahmen ihrer Coverversionen von Beach-Boys-Songs vorgespielt und ihn schließlich überredet, gemeinsam mit ihnen ins Rampenlicht zurückzukehren. — Es war der Startschuss zu einer bemerkenswerten Spätlaufbahn, die Wilsons Können und Charme, aber auch seine Verletzungen sicht- und hörbar machten. Gemeinsam mit der Band um Sahanaja, Scott Bennett sowie der Sängerin Taylor Mills wurde schließlich auch «Smile» zur Bühnenreife gebracht, und weitere Konzerttourneen folgten. Es dürfte die glücklichsten Jahre in der künstlerischen Laufbahn Brian Wilsons gewesen sein. — Die Anerkennung von Musikerinnen und Musikern war ihm seit jeher gewiss. Zu seinem 80. Geburtstag steuerte Bob Dylan ein hingebrummtes «Happy Birthday» bei, und zahlreiche Branchengrößen sandten Grüße. Als seine Frau und Retterin Melinda vor einem Jahr starb, litt Brian Wilson bereits an einer Demenzerkrankung. Er sei unter Vormundschaft gestellt, hieß es. Zuletzt verbreitete seine Tochter Carnie ergreifende Fotos ihres Vaters über soziale Medien, zu denen sie postete, er arbeite, so oft er könne, am Klavier. — Nun ist Brian Wilson, ein Genie des Popzeitalters, im Alter von 82 Jahren gestorben. «Love & mercy/that›s what we need tonight.»

Gerne weiter hinten. Dennis Wilson (v.l.), Al Jardine, Mike Love, Brian Wilson, Carl Wilson. (Bildlegende)

 
 

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