Nach Depublizierung eines Texts von Maxim Biller: Das sagt der Zeit-Verlag, das sagen Autoren

27.06.2025NewsBerliner ZeitungSusanne Lenz, Ulrich Seidler —   –  Details

Maxim Biller

Maxim Billers Zeit-Kolumne: Autoren rufen zu Zeit-Boykott auf, Michael Wolffsohn wirft der Zeit unterentwickeltes Verständnis von Meinungsvielfalt vor, PEN Berlin spricht von Hilflosigkeit.

Am Donnerstag erschien die gedruckte Wochenzeitung Die Zeit mit der neuen Kolumne von Maxim Biller zum Israel-Gaza-Krieg. Am selben Tag wurde der Artikel im Online-Kanal der Wochenzeitung von der Redaktion gelöscht, nachdem er dort bereits am Mittwoch ausgespielt worden war. Dass ein Artikel depubliziert wird, ist höchst ungewöhnlich, es ist in der Medienwelt das letzte Mittel. Man wertet damit in der Öffentlichkeit den Text des eigenen Autors ab, positioniert sich als Redaktion, die eigentlich hinter ihrem Autor stehen und ihn schützen sollte, gegen ihn und setzt ihn scharfer Kritik aus. — Zugleich weckt der Schritt Aufmerksamkeit für den Text, der nicht nur weiterhin gedruckt vorliegt, sondern auch als Screenshot in den sozialen Medien kursiert und mit ein paar Klicks aus den Internet-Archiven zu holen ist. Jeder will wissen, was in einem Text steht, den die Zeit gelöscht hat. — Die Depublikation ist mithin eine symbolische Geste, ein Zeichen, etwa an die Abonnenten, die sich in Kommentaren entsetzt zu dem Artikel geäußert haben und weiterhin äußern. Bevor man also zu einer solchen Maßnahme greift, muss sich ein immenser Druck aufgebaut haben. Immerhin steht dort, wo zuvor Billers Text zu lesen war, ein Transparenzhinweis, mit dem die Redaktion ihre Fähigkeit zur Fehlerkultur vorführt: „Der an dieser Stelle erschienene Beitrag enthielt mehrere Formulierungen, die nicht den Standards der ZEIT entsprechen“, räumt die Redaktion ein. „Unsere aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen. Wir haben den Text deshalb nachträglich depubliziert.“ Das sind Formulierungen, die viele Fragen offenlassen. Wir haben den Zeit-Verlag damit konfrontiert und per Mail Antworten bekommen.

Auf die Frage, welches die Zeit-Standards sind, gegen die dieser Text verstößt, schreibt eine Verlagssprecherin: „Wir halten insbesondere den letzten Passus sowie den Halbsatz ‚die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza‘ für problematisch und nicht vertretbar. Insgesamt hätte der Artikel deshalb so nicht erscheinen dürfen. Es bleibt aber ganz allein unser Fehler, dass wir mit Maxim Biller vor Veröffentlichung nicht über mögliche Änderungen gesprochen haben. Dies war eine schwere Panne in unserem redaktionellen Prozess, die wir sehr bedauern.“

Kein Kommentar zu den inneren Abläufen der Redaktion — Wie die „aufwändigen Mechanismen der Qualitätssicherung“ des Mediums aussehen, die ausgerechnet bei diesem heiklen Thema versagt haben, will die Zeit nicht beantworten: „Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir uns zu internen Abläufen nicht äußern.“ Konsequenzen habe die Redaktion gezogen, indem sie den Text depubliziert habe, die Entscheidung hätten Print- und Online-Redaktion gemeinsam getroffen. — Maxim Biller, Jahrgang 1960, hat als meinungsstarker Kolumnist seine Karriere als Autor begonnen, er schreibt auch Theaterstücke und hat preisgekrönte Romane veröffentlicht. Legendär ist seine Tempo-Kolumne „100 Zeilen Hass“. Und dieser Titel passt auf sehr viele seiner in Zeitungen veröffentlichten Kommentare. Für seine lässige und schnoddrige Art zu formulieren und zu argumentieren scheint diese Schreibhaltung ein unerschöpflicher und immer wieder überschießender Quell zu sein. Ziel seiner Angriffe sind in erster Linie die Deutschen und ihre Komplexe mit der Nazi-Vergangenheit. Darum geht es auch in dem gecancelten Text „Morbus Israel“. — Die Deutschen litten an der „Krankheit Israel“, eine „neugermanische Orient-Neurose“, die sich als Folge „enttäuschter Liebe der Deutschen zu ihren Opfern von früher“ ausgeprägt habe. Diese Neurose äußere sich als reflexhafte Israelkritik und ihre Folgen hätten mal wieder die Juden auszubaden. „Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.“ (…)

 
 

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