Paul Auster – Seine innige Verbundenheit mit der Welt

01.05.2024NewsZeit OnlineVolker Weidermann —   –  Details

Paul Auster

Er vermochte es, das Leben in Literatur zu verschachteln, aber dabei den Kern des Lebens zu finden und zu beschreiben. Zum Tod des großen Schriftstellers Paul Auster

Paul Auster ist tot. Seine Frau Siri Hustvedt hatte uns alle auf diesen Moment vorbereitet, als sie vor Monaten in ihren Instagram-Posts davon berichtete, ihr Mann, Paul, lebe nun in — Cancerland», im Land der schweren Krankheit und der schwindenden Lebenskraft. Niemand wisse, ob er je aus diesem Land zurückkomme. Sie hatte so schön und traurig und offen von ihm, von der Krankheit und diesem Land, in das jeder Erkrankte allein reist, erzählt. Irgendwann hatte sie von Hoffnung geschrieben, er komme da vielleicht noch einmal heraus aus dem Land. Und Anfang dieses Jahres postete sie ein so unglaublich schönes Foto in Schwarz-Weiß von Paul Auster mit seiner Mütze und seinen großen Augen; er schaut über den Rand eines kleinen Körbchens und darin liegt der frisch geborene Enkel von Siri und ihm, Miles Auster Hustvedt Ostrander. Die zwei, Großvater und Enkel, schauen sich staunend an. Ein Leben beginnt, ein anderes endet. — Paul Auster ist tot. Dieser große, amerikanische Schriftsteller, am 3. Februar 1947 in Newark, New Jersey geboren, die Eltern seines Vaters waren jüdische Immigranten aus Galizien, die Vorfahren seiner Mutter Juden aus der Ukraine. Auster hat früh Gedichte geschrieben, mit 13 wollte er Rabbiner werden, aber dann versank er ganz in zwei Welten: der Welt der Bücher und der des Sports: Baseball, Football, Basketball, er war schnell, er war leidenschaftlich und er war gut. Aber vor allem war er leidenschaftlicher Fan – und als er einmal unverhofft einem vergötterten Star begegnete und eigentlich ein Autogramm von ihm hätte bekommen können, das er für sein Leben gern bekommen hätte – aber keinen Stift dabeihatte, beschloss er, nie mehr ohne Stift das Haus zu verlassen. In jedem Moment des Lebens schreibbereit zu sein. — So hat Paul Auster sein Leben schreibend verbracht. Zunächst waren es Gedichte, aber dann vor allem Romane: — Der Roman», hat Paul Auster geschrieben, — ist der einzige Ort auf der Welt, an dem zwei Fremde sich in uneingeschränkter Zweisamkeit begegnen können. Ich habe mein Leben im Gespräch mit Menschen verbracht, die ich nie gesehen habe … und hoffe, dies bis zu meinem letzten Atemzug zu tun. Es ist das Einzige, was ich jemals wollte.» — Sein Weltruhm begann mit der New-York-Trilogie, gleich mit dem ersten Band, Stadt aus Glas, der 1985 erschien, jener genialen, verschachtelten Ermittlungsgeschichte, in der der erfolglose Krimiautor Quinn unter dem Namen Paul Auster einen unlösbaren Fall übernimmt und sich dabei beinahe selbst in diesen Paul Auster verwandelt. Das Spiel mit Identitäten, die Welt als Spiegelkabinett der Möglichkeiten – das ist Paul Austers Romanwelt, die er erschaffen hat. Er balanciert mit seinen Fiktionen stets am Rande der Realität, es ist, als baumele stets ein Arm oder Bein hinüber über die Grenze, die Fantasie von Realität trennt. — In der Stadt aus Glas lässt er auch erstmals — Siri» auftreten, jene geniale Autorin und Essayistin Siri Hustvedt, die seit jener Zeit das Leben mit Paul Auster teilte. Zuvor war er einige Jahre mit der Autorin Lydia Davis verheiratet gewesen. Aber mit Siri Hustvedt verband ihn mehr als die Hälfte seines Lebens lang eine symbiotische, mitunter öffentliche, untrennbare Lebensliebe. Die die beiden auch in ihren Werken immer wieder andeutungsweise oder überdeutlich thematisierten. Gerade auch in den schwierigen Jahren. In ihrem Roman Der Sommer ohne Männer spielte Hustvedt 2011 öffentlich durch, wie ein Leben ohne den – offenbar zur Untreue neigenden – Ehemann denkbar wäre. — Wirklich denkbar war es für beide wohl nie. Sie waren mit den Jahren in Gedanken beinahe eins geworden. Hustvedt lässt ihr Alter Ego im Roman seufzen: — Es war so weit gekommen, dass wir in unseren Köpfen gleichzeitig dasselbe dachten, wenn wir bei einer Dinnerparty eine Geschichte oder Anekdote hörten; es ging nur noch darum, wer von uns den Gedanken zuerst laut aussprechen würde. Auch unsere Erinnerungen hatten sich allmählich vermischt.» Und ihr Mann, der im Roman Boris heißt, denkt dieses symbiotische Modell schon mal voraus: — Wenn wir noch hundert Jahre zusammenlebten, würden wir ein und dieselbe Person werden.» — Jenseits des Lesepublikums wurde Paul Auster 1995 mit zwei genialen Werken bekannt: den Filmen Smoke und Blue in the face, bei denen er gemeinsam mit Wayne Wang Regie führte und das Drehbuch schrieb. Es geht darin ums Rauchen, um die Liebe zu den Menschen, Liebe zu einer unauffälligen Ecke in New York, an der Harvey Keitel einen Zeitungsladen betreibt und um das Vergehen der Zeit. William Hurt, der einen Freund Keitels spielt und die Kunst des Zigarillorauchens formvollendet beherrscht, erzählt einmal von einem Mann, der das Gewicht von Rauch messen konnte. Wie das geht, erzählen wir hier jetzt nicht. Aber es ist ganz einfach. Folgt den Gesetzen der Logik. Das scheinbar Unwiegbare kann gewogen werden. Das Beinahe-Nichts ist nicht Nichts. Rauch hat ein Gewicht.

 

Eine andere Szene ist unglaublich schön: Harvey Keitel fotografiert seit vielen Jahren die Straße vor seinem Laden. Und er hat ein Fotoalbum davon angelegt. Bilder eines Lebens. Jeden Tag derselbe Ausschnitt der Welt. Die beiden, Hurt und Keitel, sitzen nebeneinander und gehen das Album durch. Hurt, höflich, schaut, wundert sich, blättert schneller, er hat das Prinzip ja nun verstanden. Keitel weist ihn sanft zurecht: — Slow down, my friend. You won›t get it.» So siehst Du es nicht! Und Hurt: — Sie sind alle gleich!» Darauf Keitel: — Ja. Sie sind alle gleich. Aber jedes Bild unterscheidet sich von allen anderen.» Und er führt ihn sanft und freundlich ein in die Welt der Unterschiede. Und rät ihm: — Slow down. That›s what I recommend.» — In deinem ganzen Leben wird dir nichts Wichtigeres geschehen als das, was genau jetzt geschieht»: der Schriftsteller Paul Auster im Januar 2018

 
 

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