Auf dem Weg nach Kiew – Wieso Russlands Militärkonvoi nicht gestoppt wird

02.03.2022Deutschlandfunk: ClipDeutschlandfunkFriederike Zörner

Russischer Militärkonvois

Politik Auf dem Weg nach Kiew Wieso Russlands Militärkonvoi nicht gestoppt wird Friederike-7.jpg Von Friederike Zörner 02.03.2022, 16:02 Uhr AP_22060214318792.jpg Das genaue Ziel des Militärkonvois ist noch unklar. Experten rechnen aber damit, dass Kiew ein schwerer Angriff bevorsteht. (Foto: AP) FB TW mail drucken Kommerzielle Satellitenbilder zeigen einen kilometerlangen russischen Militärkonvoi, der offenbar auf dem Weg nach Kiew ist. Kann dieser noch aufgehalten werden? Nein, sagen Experten. Die westlichen Verbündeten der Ukraine sehen dem Kriegstreiben hilflos zu. Ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine ist noch lange nicht in Sicht. Schlimmer noch: Militärexperten wie Thomas Wiegold gehen davon aus, dass Russland den Druck auf sein Nachbarland noch weiter erhöhen wird. “Es gibt zunehmend Angriffe mit Raketenartillerie”, sagte der Militärexperte im Interview mit ntv. Es stehe zu befürchten, dass zunehmend zivile Infrastruktur als Ziel ins Visier genommen werde. Sinnbild für diese Analyse ist ein riesiger Militärkonvoi, der seit Wochenbeginn für Aufregung bei Beobachtern sorgt. Günter Hofbauer_Generalmajor_Ukraine-Krieg.JPG Politik 02.03.22 08:47 min Österreich-Militär zu Kriegslage “Charkiw zeigt, was Kiew drohen könnte” Satellitenbilder zeigten den Konvoi, der sich am Montag über eine Länge von etwa 64 Kilometer ausdehnte, nördlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Laut dem in den USA ansässigen Unternehmen Maxar Technologies, von dem die Aufnahmen stammen, erstreckte sich der Militärzug “von der Umgebung des Antonow-Flughafens im Süden bis zur Umgebung von Prybirsk” im Norden. Der Antonow-Airport ist rund 25 Kilometer vom Zentrum Kiews entfernt. Wie aus der Luft zu erkennen ist, zählen zu den nacheinander fahrenden Wagen sowohl Versorgungs- und Tankfahrzeuge, als auch Artillerie. Für Sven Bernhard Gareis stellt der Militärkonvoi den Beginn der zweiten Angriffswelle des russischen Militärs dar. “Der Konvoi bringt Nachschub an Großgerät, Treibstoff und an Munition, was eine ganz wesentliche Aufgabe in einem solchen Angriffskrieg ist”, sagte der Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Internationale Sicherheitspolitik im Interview mit ntv.de. Die russischen Streitkräfte seien in der ersten Welle auf starken Widerstand seitens der Ukrainer gestoßen und hätten erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Zudem hätten logistische Mängel die Militäroperation immer wieder ins Stocken gebracht. “Die schlechte Planung und Führung auf russischer Seite haben natürlich den bisherigen ukrainischen Widerstand begünstigt.” Hinzu komme laut Gareis, dass viele russische Soldaten zunächst gar nicht gewusst hätten, dass sie in den Krieg geschickt werden, sondern dachten, sie übten Manöver an der Grenze. “Das gehört zum Wesen der russischen Militärführung, dass Leute nicht informiert werden. Sie werden als Material angesehen, auf das keine Rücksicht genommen wird.” Die Ukraine kann nur abwarten Die zweite Welle bringe nun frische Kräfte und Kriegsmaterial mit. Eine wichtige Dimension stelle dabei auch der Treibstoff dar, der offenkundig den Angreifern bald nach Beginn der Invasion immer wieder ausgegangen sei. Da mit der Militärkolonne auch gepanzerte Wagen und Artillerie vorrückten, äußerte Gareis die Sorge, “dass diese Kräfte dafür eingesetzt werden, weiter Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung auszuüben”. Er befürchte, dass nun versucht werden könne, Kiew von außen verstärkt mit Raketen und Artillerie zu beschießen. Noch reihe sich der Konvoi wie eine Perlenkette auf. Was genau Russlands Präsident Putin dann mit den Kräften vorhabe, müsse sich erst noch zeigen, wenn sie in eine entsprechende Angriffsposition gebracht wurden. 2022-03-01T213749Z_922958743_RC2STS9VXHKO_RTRMADP_3_UKRAINE-CRISIS-ZHYTOMYR.JPG Politik 02.03.22 Brandsätze, Barrikaden, Waffen Wie sich Zivilisten der russischen Armee entgegenstellen Die Welt sieht also zu, wie sich diese Kolonne gemächlich in Richtung Kiew bewegt. Wieso wird sie nicht gestoppt? “Das hat damit zu tun, dass es den russischen Streitkräften gelungen ist, die ukrainische Luftwaffe weitestgehend auszuschalten”, sagte Gareis. Inzwischen habe Putins Armee die vollständige Luftüberlegenheit in der Ukraine. “Deswegen kann sich der Konvoi frei bewegen und zur Entfaltung gebracht werden.” Die Ukraine sei zwar im Besitz einiger bewaffneter Drohnen, die bereits zum Einsatz kamen, aber diese genügten nicht. Ein Beschuss aus Kiew heraus sei aufgrund der jetzigen Entfernung zudem nicht möglich. Zuletzt kam deswegen die Diskussion auf, der Westen oder Nachbarländer wie Polen könnten eine Flugverbotszone oder Luftraumsperre über der Ukraine installieren. “Aber das wäre gleichbedeutend mit einem Eintritt westlicher Staaten in den Krieg”, analysierte Gareis. “Das wurde aus gutem Grund kategorisch ausgeschlossen.” Das Heft des Handelns liege also derzeit bei Russland. Die Ukraine könne nur abwarten. Sollten die Militärfahrzeuge aus dem Konvoi dann tatsächlich ins Zentrum der Hauptstadt vordringen, stünden der Ukraine moderne Panzerabwehrraketen zur Verfügung, “die sehr wirksam gegen russische Panzer eingesetzt werden können”, sagte der Wissenschaftler. Die russische Seite müsse dann mit einem erheblichen Widerstand rechnen – auch seitens der Zivilbevölkerung. Doch was genau Putin mit dem Konvoi vorhabe, könne nur spekuliert werden, so Gareis: “Entweder kreist er Kiew ein, oder er greift die Stadt direkt an, oder er schaltet um auf einen Beschuss von außen durch Raketen und Artillerie.” ”Panzer sind dann die ungeeignetste Waffe überhaupt” Das deckt sich mit der Einschätzung von Franz-Stefan Gady. Der Militärexperte rechnete nach Bekanntwerden der Konvoi-Satellitenaufnahmen mit einem bevorstehenden Sturm auf Kiew. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte der Forscher vom britischen “International Institute for Strategic Studies” am Dienstag, es werde einen sogenannten Kampf der verbundenen Waffen geben. “Die russischen Streitkräfte werden stärker auf Artillerie setzen, sie werden wahrscheinlich härter vorgehen, sie werden wahrscheinlich mehr flächendeckende Bombardements durchführen”. Dies sei erst der Anfang des Krieges. 276752014.jpg Politik 02.03.22 04:21 min Kaim zu weiterem Kriegsverlauf “Sieht aus, als sei Putin zu Eskalation entschlossen” Sollte es zu einem Kampf auf urbanem Gelände kommen, sei das ein Vorteil für die Verteidiger, meint Gareis. “Panzer sind dann die ungeeignetste Waffe überhaupt.” Und ein Häuserkampf, bei dem die Infanterie in die Stadt hereingehe, sei wahnsinnig verlustreich. “Meine Sorge ist aber, dass die russischen Streitkräfte den Ukrainern diesen Vorteil nicht geben, sondern durch Raketen- und Artilleriebeschuss mit großer Rücksichtslosigkeit gegen die Zivilbevölkerung vorgehen werden.” Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagte im Gespräch mit ntv, es sehe momentan danach aus, als ob Präsident Putin dazu entschlossen sei, den Kampf zu eskalieren. Dessen unmittelbares Kriegsziel sei verfehlt worden, nämlich “eine politische Enthauptung der Ukraine, also ein Ersatz der Regierung durch eine Moskau-treue Regierung in Kiew”. Russland wird keinen Kompromiss eingehen Mehr zum Thema Ukraine-Talk bei Markus Lanz Röttgen: “Sind in einer Phase des Vernichtungskrieges” Geld und Straffreiheit geboten Ukraine lockt russische Soldaten zu Aufgabe Tag 6 des Ukraine-Krieges Russland nimmt die Großstädte ins Visier Die Kriegsnacht im Überblick Russischer Konvoi vor Kiew – Ukraine hält Mariupol Die Bilder unter anderem des langen Militärkonvois deuteten laut Kaim darauf hin, dass es zu einer Strategie wie etwa im syrischen Aleppo kommen könne. “Das heißt, dass großflächig zivile Wohnbezirke bombardiert werden – mit zwei Zielen. Erstens, die kritische Infrastruktur zu zerstören: Wasserleitungen, Stromleitungen, anderes mehr. Und vor allen Dingen die Zivilbevölkerung in die Flucht zu schlagen, bewusst zu vertreiben, um dann diese Gebiete einzunehmen”, so der Politikwissenschaftler. ”Das ist einfach eine furchtbare Situation, in die die Ukraine unverschuldet geraten ist”, resümierte Sven Bernhard Gareis im Gespräch mit ntv.de. Es werde sicherlich keinen Kompromiss von russischer Seite geben. “Putin hat in der Ukraine freie Hand. Die NATO wird ganz sicher nicht eingreifen.” Der ungestört weiterfahrende Konvoi sei dafür ein augenfälliges Symbol. “Putin wird sein Ziel verfolgen, die Ukraine als Staat, als Nation zu vernichten. Das Ganze findet mitten in Europa statt, und wir stehen daneben und können praktisch nichts tun.” Quelle: ntv.de

 
 

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