»Ich würde mich tatsächlich gerne korrigieren« / Christian Drosten

22.06.2022NewsSpiegel OnlineInterview —   –  Details

Christian Drosten

Virologe Drosten über den Kampf gegen Corona

— SPIEGEL: Die Entwicklung eines Omikron-Impfstoffs erwies sich als schwieriger als gedacht …

Drosten: … und kaum jemand hat mit so schnellen Veränderungen des Virus gerechnet. Als die Alpha-Variante kam, war das für mich sehr überraschend, beim Auftauchen von Delta war ich erst einmal skeptisch, bei Omikron musste man sich dann wieder neu orientieren, und seit Januar gibt es schon wieder neue Omikron-Sublinien. Deshalb würde ich mich tatsächlich gern korrigieren: Ich glaube nicht mehr, dass wir Ende des Jahres den Eindruck haben werden, die Pandemie sei vorbei. Das mit dem Wimmern stimmt: Es wird länger dauern.

 

— SPIEGEL: Auf Twitter macht derzeit die Empfehlung die Runde, man solle sich jetzt im Sommer absichtlich infizieren, um im Winter immun zu sein. Was halten Sie davon?

Drosten: Das ist totaler Nonsens. So viele Menschen können sich im Sommer gar nicht infizieren, dass das im Winter die Coronazahlen niedrig halten würde. Das hat man vergangenes Jahr in Großbritannien gesehen: Wegen der Fußballeuropameisterschaft wurden dort im Sommer die Maßnahmen gelockert, es gab sehr viele Infizierte – aber im darauffolgenden Herbst und Winter war die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und der Toten noch höher als in Deutschland, und das trotz besserer Durchimpfung. Die Sommerinfektionen hatten keinerlei vorbereitenden Effekt für den Winter.

 

— SPIEGEL: Wenn BA.5 stärker die Lunge befällt, müssen wir ab jetzt auch wieder mit schwereren Krankheitsverläufen rechnen?

Drosten: Ich denke nicht, dass es wieder zu überfüllten Intensivstationen kommen wird, aber das Rad dreht sich wieder mehr in Richtung Krankheit, ja. Es stimmt eben nicht, dass ein Virus im Laufe der Evolution automatisch immer harmloser wird, wie manche behaupten. Das macht meine Sorge vor dem Herbst noch mal größer. Außerdem wird Influenza dazukommen, wie man im Moment schon im australischen Winter sieht.

 

— SPIEGEL: Soll man sich also im Herbst mit der Omikron-Kombi-Impfung immunisieren lassen oder nicht?

Drosten: Ich würde das machen. Vorgesehen ist diese Impfung erst ab 70 Jahren, und so alt bin ich noch nicht. Aber auch mit 50 und älter kann man einen schweren Verlauf haben.

— SPIEGEL: Sie gehören zu der Minderheit derjenigen, die noch nie eine Sars-CoV-2-Infektion hatten. Wie haben Sie das geschafft?

Drosten: Schwer zu sagen. Bislang hatte ich wohl einfach Glück. Ich begebe mich zwar nur selten in riskante Situationen, aber ich bin auch nicht übermäßig vorsichtig. Ich gehe wieder auf Dienstreisen und ins Restaurant, und wenn ich in einer größeren Gruppe stehe, in der keiner eine Maske trägt, dann ziehe ich auch keine an. Ich will ja nicht Dr. Strange sein. Aber ich versuche immer, Rücksicht zu nehmen: Wenn in einer Bäckerei zum Beispiel eine Kundin eine Maske trägt, dann setze ich auch eine auf, sie könnte ja Risikopatientin sein.

 

— SPIEGEL: Die Debatte über den Fortgang der Pandemie tobt weiterhin laut, die über ihren Ursprung ist leiser geworden: Labor oder Tierreservoir. Woher kommt Sars-CoV-2?

Drosten: Es gibt neue Auswertungen, die noch mal stärker darauf hindeuten, dass das Virus von dem Wildtiermarkt in Wuhan stammt. Für den Laborursprung hingegen sind keine weiteren Argumente hinzugekommen, und die, die es gibt, sind meiner Meinung nach schwach.

 
 

SK-


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