Saxofonspiel als musikalisches Naturereignis: Peter Brötzmann 1941-2023

26.06.2023SpielräumeÖ1Andreas Maurer —   –  Details

Peter Brötzmann

Saxofonspiel als musikalisches Naturereignis: Peter Brötzmann 1941-2023

Zur Beschreibung seiner Musik wurden gerne Begriffe landschaftsverändernder Naturereignisse herangezogen, etwa «Erdbeben», «Tsunami» oder «Bergsturz». Das Parameter der Energie, das Peter Brötzmanns Klangproduktion dominierte, es schuf jenes Moment der kompromisslosen, physisch erfahrbaren Unmittelbarkeit, das ihn zur Kultfigur werden ließ. — Peter Brötzmann stammte aus Remscheid in Nordrhein-Westfalen, er studierte an der Werkkunstschule in Wuppertal und arbeitete in den frühen 1960er Jahren als Assistent von Nam June Paik. Was die Unbekümmertheit in Bezug auf traditionelle musikalische Regeln beeinflusst haben mag: Peter Brötzmann zählte ab Mitte der 1960er zu den Protagonisten der ersten Generation des deutschen Free Jazz und damit auch zu jenen europäischen Pionier:innen, die sich in der Praxis erstmals von US-amerikanischen Vorbildern abwandten und eigene Konzepte verfolgten. — Nachdem Brötzmann 1967 sein Tonträger-Debüt «For Adolphe Sax» vorgelegt hatte, bedeutete das 1968 aufgenommene, berühmte Oktett-Album «Machine Gun» einen vieldiskutierten Höhepunkt der sich durch Dichte und Wucht auszeichnenden deutschen Free-Jazz-Ästhetik. Der Titel «Machine Gun» und das von Brötzmann gestaltete LP-Cover lösten im Kontext der Studentenproteste des Jahres 1968 immer wieder politische Assoziationen aus. Und auch wenn sich Peter Brötzmann und seine Mitstreiter als Teil der Gegenöffentlichkeit sahen, die gegen die als autoritär und konservativ empfundene Nachkriegsgesellschaft aufbegehrte, der Name «Machine Gun» hatte musikalische Implikationen: So hatte nämlich Trompeter Don Cherry Brötzmann aufgrund der hochenergetischen Soundwälle genannt, die der junge Tenorsaxofonist damals produzierte. — Ab den 1980ern war der Saxofonist, der zeit seiner Karriere auf notierte musikalische Konzepte verzichtete, regelmäßig auch in den USA und Japan präsent. Ab 1986 etwa als Teil der Jazz-Noise-Band Last Exit von Bassist Bill Laswell. In den 1990ern erlebte Brötzmanns Karriere durch die Wiederentdeckung seiner Musik durch die junge Chicagoer Free-Jazz-Szene einen zweiten Frühling, die sich auch im Peter Brötzmann Chicago Tentet niederschlug. — 2019 überraschte der Saxofonist, bis zuletzt auch – und mit wachsender Resonanz – als bildender Künstler aktiv, mit der Solo-Aufnahme «I Surrender Dear», veröffentlicht beim Wiener Label Trost Records. Der Inhalt: entschleunigte Versionen guter, alter Jazzstandards. — In den letzten Jahren war Brötzmann durch eine chronische Lungenerkrankung gehandicapt, er trat aber noch im November 2022 mit dem marokkanischen Gembri-Spieler Majid Bekkas und dem Chicagoer Schlagzeuger Hamid Drake beim Jazzfest Berlin auf. Die Aufnahme des Konzerts erschien im Mai bei ACT Music. Es war die letzte Veröffentlichung im Rahmen von Peter Brötzmanns umfangreicher Diskografie: Am 22. Juni ist der lange Jahre unverwüstlich scheinende Saxofonist 82-jährig verstorben.

 
 

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