Chaoten sind nicht leicht zu umarmen – Zum Tod von Saxofonist Ernst-Ludwig ‹Luten› Petrowsky

11.07.2023JazzFAZ onlineWolfgang Sandner —   –  Details

Ernst-Ludwig Petrowsky (2012)

Nachruf — Zwischen offizieller Geringschätzung und kulturpolitischer Anerkennung hat Ernst-Ludwig Petrowsky den Jazz in der DDR hochgehalten und einen kauzigen eigenen Stil entwickelt. Nun ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.

Über die Freiheiten und Gängelungen von Jazzmusikern in der DDR – und beides bisweilen zur gleichen Zeit – hätte er Bände schreiben können. Denn er war Zeitzeuge von Anfang an. Ernst-Ludwig Petrowsky, den alle nur «Luten» nannten, hat im ideologischen Wechselbad zwischen offizieller Geringschätzung des Jazz als kapitalistische Aufwiegelung der Jugend und kulturpolitischer Anerkennung als «zu förderndes musikalisches Genre im Ensemble der Künste der DDR» unbeirrt einen robust eigenständigen Altsaxophonstil entwickelt. Fast trotzig bestand er stets darauf, als Free-Jazz-Chaot, nicht als Free-Jazz-Musiker bezeichnet zu werden. Musiker konnte man, wenn sich das politische Tauwetter auch auf das kulturelle Klima auswirkte, immer noch staatlich vereinnahmen. Chaoten aber ließen sich nicht einmal dann zynisch umarmen. — Unter den unbezähmbaren Jazzmusikern der ersten Nachkriegsstunde im Osten Deutschlands war Luten Petrowsky einer der klangmächtigsten Individualisten, der in den Fünfzigerjahren in der legendären Kapelle Eberhard Weise nicht nur Tanzmusik, sondern auch ungewöhnlich modernen Jazz spielte. Was seine Wirkung nicht verfehlte: «Wir spielten überall nur einmal.» Wenig später wurde er allmählich das, was es im real existierenden Sozialismus eigentlich auch nicht geben durfte: freischaffender Musiker, zunächst mit dem Baritonsaxophonisten Manfred Schulze im «Manfred-Ludwig-Sextett», das sich dem Jazz der Zeit zwischen Bossa-Nova–Lässigkeit und Dave-Brubeck-Exzentrik annäherte, um dann, auch unter dem Einfluss des Leipziger Pianisten Joachim Kühn, den Quantensprung zu freieren Formen, unter anderem mit Ulrich Gumpert, Conrad Bauer und Günter Sommer in der Band «Synopsis» zu wagen. Daneben hat Petrowsky aber auch seinen Platz in größeren Bigband-Formationen gefunden, etwa im Rundfunk-Tanzorchester Berlin. — Kleiner Grenzverkehr, große Wirkung — In dieser Zeit, Anfang der Siebzigerjahre, gelang Petrowsky auch so etwas wie ein inoffizieller kleiner Grenzverkehr der Subkultur zwischen Ost und West. Seine Aufnahme «Just for fun» im Quartett mit Conrad Bauer, Klaus Koch und Wolfgang Winkler, veröffentlicht bei FMP, war die erste Produktion von Jazzmusikern der DDR im Westen und zugleich der Beginn einer produktiven Zusammenarbeit mit Künstlern aus West- und Ostdeutschland, sowohl auf Tonträgern wie in Konzerten und Tourneen mit dem Globe Unity Orchestra, der George Gruntz Concert Jazz Band oder dem Tony Oxley Celebration Orchestra. — Luten Petrowsky, seit den frühen Achtzigern viel auch mit seiner Frau, der Sängerin Uschi Brüning, konzertierend, hatte in seinem Auftrittsgebaren wie in seinem Spiel, vor allem als Saxophonist, aber auch auf der Klarinette oder diversen Flöten immer etwas Bukolisches, das Publikum wohltuend Aufschreckendes. Sein kauziger Witz machte auch vor deutschem Liedgut oder gewissen klischeehaft populären Klanggesten nicht halt. Am Montag ist er im Alter von neunundachtzig Jahren in Berlin gestorben. Er wird der aktuellen Jazzszene fehlen wie sein Alter ego Peter Brötzmann.

 
 

SK-


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