musikprotokoll 1906 in Graz

07.10.2023Spielräume SpezialÖ1Michael Neuhauser —   –  Details

musikprotokoll 1906

Zur österreichischen Erstaufführung von Richard Strauss «Salome» 1906 in Graz reist die Elite der zeitgenössischen Musik an. — Richard Strauss dirigiert die österreichische Erstaufführung seiner skandalösen Salome und versäumt ob seines Ausflugs mit Gustav Mahler beinahe seine eigene Produktion. Giacomo Puccini, Arnold Schönberg und Johann Strauß› Witwe und viele andere warten auf das Öffnen des Vorhangs. Neue Musik in Graz, sozusagen das musikprotokoll 1906: Schönberg, Webern, Berg, Zemlinsky, Puccini, Rosegger, die Witwe von Johann Strauss und allen voran Gustav Mahler und natürlich Richard Strauss – alle reisen sie am 16. Mai 1906 nach Graz. — Die Spannung in der Stadt steigt. Musikkritiker Ernst Decsey schreibt: «Alsbald entstand große Aufregung in der Stadt. Parteiungen, Spaltungen. Wirtshausphilosophen schwirrten neugierig um das Geschehen herum. Aus der Provinz kamen Besucher, aus Wien Kritiker, Presseleute, Berichter, Fremde , . drei mehr als ausverkaufte Häuser. Die Portiers stöhnten, die Hoteliers griffen nach ihren Safeschlüsseln.» — Aber im Jahr 1906 steht die neue Musik auch andernorts nicht still. Es ist noch gerade elf Tage bis zur Uraufführung von Gustav Mahlers 6. Symphonie in Deutschland und – nennen wir es ruhig spekulative Geschichtsschreibung – wir gehen mal davon aus, dass man sich in Graz darüber auch austauschte. Über das Aufbrausende, beispielsweise, und das jähe Verstummen. Über Eros und Natur, über das Artifizielle des Orchestralen und seine zugleich unmittelbare Wirkmächtigkeit. Am Nachmittag vor der Grazer Salome-Premiere in der Oper beschließen allerdings Strauss, Mahler und Alma einen Ausflug zu einem naheliegenden Wasserfall zu unternehmen: Wasserfall und Naturschönheit, Landgasthof und steirischer Wein: Richard Strauss genießt und Gustav Mahler wird langsam nervös. — Maurice Ravel schickt einstweilen fiktiverweise einen Gruß aus Paris, ganz frisch aus seiner Komponierwerkstatt, die zarten Farben des Stücks scheinen noch gar nicht ganz trocken zu sein. La vallée des cloches, Das Tal der Glocken. Ein Stück aus den 1906 uraufgeführten «Miroirs» von Maurice Ravel. Gespielt von Artur Rubinstein, der 1906 als 19jähriger Artur Rubinstein in der Carnegie Hall debütiert. Wir bleiben noch in den USA. Dort stellt uns Duke Ellington seine amerikanische Version des Schleiertanz der Salome vor. Das Schlagzeug stampft, die Trompeten blitzen, der Saal dampft und die imaginären Schleier fallen. Da geht Enrico Caruso ins New Yorker Aufnahmestudio und singt für den Schalltrichter und für uns Musik von Giacomo Puccini. Puccini sitzt in der Grazer Oper und hört Richard Strauss. Caruso ist in New York und singt Puccini. Alles 1906, alles Musik von Zeitgenossen, alles ein einziges, fiktives musikprotokoll 1906. — Am New Yorker Heimweg kommt Caruso am Central Park vorbei. Dort lauscht Charles Ives den nächtlichen Geräuschen. Sein Portrait des nächtlichen «Central Park in the Dark» entsteht ebenfalls 1906. Und wir hören, woran Caruso damals am Heimweg vorbeiging, an Unterhaltungslokalen, vorbeimarschierenden Blasmusikkapellen und lärmenden Verkäufern, wenn er kurz Platz nimmt: «when sitting on a bench in Central Park on a hot summer night». — In diesem Jahr, also 1906, ist der Grazer Robert Stolz 26 Jahre alt und wir bitten ihn jetzt an den Flügel am Rande des Empfangs nach der Opernpremiere, um seine eigene «Salome» – zugegebenermaßen in der schnöden Wirklichkeit erst Jahre später komponiert – seinen Kollegen Strauss, Mahler und Puccini sowie Johann Strauss› Witwe vorzutragen. Ganz dezent orientalisch: die Salome von und mit Robert Stolz am Klavier.

 
 

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