Zum Tod von Pianistin und Komponistin Carla Bley

18.10.2023NewsNDR KulturStefan Gerdes —   –  Details

Carla Bley

Carla Bley, eine der wichtigsten amerikanischen Komponistinnen, ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Eine Künstlerin mit einer integren, kompromisslosen musikalischen und politischen Haltung und einem irrwitzigen Humor. — Als Carla Bley im Oktober 1965 ihr erstes Konzert im NDR spielte, gab Redakteur Hans Gertberg dem Publikum eine zarte Warnung mit auf den Weg: «Bitte beachten Sie – Free Form Jazz. Das wird kein Ohrenschmaus im herkömmlichen Sinne!» Was dann auf der Bühne zu hören war, wies schon einige jener Zutaten auf, die später mit dem Namen Carla Bley verbunden werden sollten: lustvoll und aufmüpfig tanzten die Melodien im Freigehege des Jazz und spornten sich immer wieder zu spontanen Richtungswechseln an.

Genialer Stilmix — Ob Swing, Tango, Jazzrock, Marschmusik, Nationalhymnen, Free Jazz oder schwermütige Walzer – virtuos beherrschte Carla Bley die gesamte Stilpalette und versah sie schon mit einer eigenen Signatur, als das Wort «postmodern» noch gar nicht erfunden war. Sie selbst verstand sich als eine Art Puzzle aus den unterschiedlichsten Vorbildern. So bat die Redaktion von «allaboutjazz» Carla Bley einmal, ihre Einflüsse aufzuzählen und erhielt folgende Antwort:

»Ich erinnere mich an Leute, die Hymnen für ein Bibel-ähnliches Buch komponiert haben. Ihre Musik war sehr wichtig für mich, als ich noch ein Kind war. Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen, wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Der nächste Einfluss war mein Vater, der zuhause Edvard Griegs Klavierkonzert gespielt hat, ziemlich schlecht allerdings. Dann gab es bei uns in Oakland eine Musik, die sich Sepia nannte, ein wenig wie die Hymnen, aber es war kein Gospel, es war weltliche Musik und wurde meist von vier Frauenstimmen gesungen, das war auch ein großer Einfluss und meine erste Begegnung mit schwarzer Musik. Von dort war es zum Jazz nur noch ein kleiner Schritt. — Später dann habe ich Kurt Weill gehört, als ich nach New York kam. Von ihm bin ich sehr beeinflusst worden, übrigens auch von Eric Satie. Seine Komposition ›Parade› habe ich schon mit zwölf gehört. Damals hatte ich einen kleinen Recorder. Der ist aber kaputt gegangen, und das Satie-Stück war das einzige, das ich noch abspielen konnte. Also habe ich es immer und immer wieder angehört.» Soweit Carla Bley, die zeitlebens den Beweis erbrachte, wie gut sich diese unterschiedlichen Einflüsse unter ihrer Hand verstanden. — Carla Bley, Paul Bley und Michael Mantler — 1936 wurde sie als Lovell May Borg als Tochter eines Kirchenmusikers im kalifornischen Oakland geboren und machte schon im Alter von vier Jahren die ersten Versuche auf Klavier und Orgel. Ende der 1950er Jahre ging sie nach New York, jobbte als Zigarettenverkäuferin in einem Jazzclub und verliebte sich in den Pianisten Paul Bley. Er wurde ihr erster Ehemann, erkannte schnell ihr Talent, förderte und forderte sie als Komponistin. Einmal, so erzählte sie, orderte er bei ihr über Nacht sechs Stücke, die er auch pünktlich geliefert bekam. Schon bald folgte allerdings die Scheidung. — Carla Bley hatte Michael Mantler kennengelernt, einen Komponisten und Trompeter aus Österreich. 1966 wurde die gemeinsame Tochter Karen geboren, die später auch Musik machen sollte. Gemeinsam gründeten Bley und Mantler ein Orchester, einen Vertrieb und eine Plattenfirma. Zwei wichtige Werke entstanden, die Carlas Bleys Ruhm begründeten und die bis heute zu den Schätzen des modernen Jazz zählen: «A Genuine Tong Funeral» mit Gary Burton und «Escalator Over The Hill» – eine Art Jazz-Oper, ein Mammut-Werk für mehr als 20 Musikerinnen und Musiker, das noch heute durch seine Kraft und Fantasie beeindruckt.

 
 

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