Revisited: Wasserstadt Oberhavel, Berlin

20.06.2023NewsBauweltSebastian Redecke —   –  Details

Wasserstadt Oberhavel

«Havelspitze», das kleine Café am Ende des Gebäuderiegels der Residenz Pro Seniore, hat zurzeit nur am Wochenende nachmittags für drei Stunden geöffnet. Am exponierten südlichsten Punkt des gleichnamigen Quartiers Havelspitze, auch Maselake-Halbinsel genannt, in bester Wasserlage mit Blick auf die Insel Eiswerder, erwartet man deutlich mehr als dieses geschlossene Café und einen Anlegesteg. Denn die Halbinsel-Bebauung gehört zur großen Neuplanung «Wasserstadt Oberhavel» in den Spandauer Ortsteilen Hakenfelde und Haselhorst westlich, nördlich und östlich von Eiswerder. Die ersten Planungen dazu begannen schon vor 1989 in West-Berlin und konkretisierten sich in den frühen 1990er Jahren. Die städtebauliche Entwurfsidee stammt von Hans Kollhoff, Christoph Langhof, Jürgen Nottmeyer und Klaus Zillich. Die Zeit war noch geprägt von der IBA ›87. Von großen Siedlungen war damals längst nicht mehr die Rede, sondern von «Neuen Vorstädten», mit der Betonung auf «Stadt» (Bauwelt 17/18.1997).

 

Dreißig Jahre später ist die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen. Bis 2026 sollen in der Wasserstadt Oberhavel auf 206 Hektar insgesamt 12.750 Wohnungen fertiggestellt werden. Das Projektgebiet, das sich bis 2020, viel länger als erwartet, in der Einflugschneise des Flughafens Berlin-Tegel befand, wurde von Anfang an in Planungsbereiche aufgeteilt, in denen verschiedene Büros mit eigenen Ansätzen der Bebauung zum Zuge kamen. Der damalige Bausenator Wolfgang Nagel und Senatsbaudirektor Hans Stimmann trieben solche Wohnquartiere mit eigener Identität voran. Die Chance, die Spitze der Havelspitze zum Treff- und Aussichtspunkt des neuen Quartiers zu entwickeln, wurde aber vertan.

 

Betrachtet man die weitere Bebauung nördlich der drei Gebäude der Seniorenwohn- und Pflegeeinrichtung, ist der erste Eindruck, dass besonders die Dichte wichtig war. Gebaut wurde eine kompakte Blockstruktur mit fünf bis sechs Obergeschossen und hellen, weitgehend abgeschlossenen Höfen, die städtisch wirken soll. Umgeben von Wasser, bleibt dies unverständlich. Außerdem entschieden sich die Planer im südlichen, quer zur Halbinsel verlaufenden Teil der Hugo-Cassirer-Straße sogar für Kolonnadengänge, die Urbanität mit viel Leben im Straßenraum suggerieren, was es aber heute im Quartier – ohne Anknüpfung an gewachsene Strukturen, ohne Läden und mit einer dürftigen Infrastruktur – nicht gibt. Discounter und Fachmärkte mit Parkplätzen befinden sich an den breiten Zufahrtsstraßen abseits der Havelspitze. Die 1999 realisierten Blöcke mit den Kolonnaden stammen aus den Büros Josef Paul Kleihues und Perkins & Will. Die gewünschte Identität mag im Quartier Havelspitze baulich ablesbar sein, doch genau diese Identität, die auch nach atmosphärischen Besonderheiten und nach Bewohnerinnen und Bewohnern verlangt, die sich mit dem Ort identifizieren und in den Außenräumen gerne verweilen, ist durch die allgemeine Leere im Quartier und gewisse Anonymität, die sich unter anderem durch die Sozialstruktur erklären lässt, nicht erfahrbar.

 

Die Lage am Wasser spielte aus der Sicht der Planer aber schon eine Rolle und sollte durch die Bebauung überall spürbar sein, weshalb die Straßenräume so konzipiert wurden, dass sie sich konisch zum Wasser hin aufweiten. Dieses städtebauliche Konzept stammt von den Architekten Kees Christiaanse/Astoc Planners & Architects, die auch in der ersten Planung des westlich angrenzenden Quartiers Maselake eingebunden waren. Kees Christiaanse entwarf zudem den nördlichen der drei Blöcke, der aber eigentlich kein Block ist, sondern eine aus vier Riegeln zusammengesetzte Figur, die einen Hofraum umschließt. Diese Riegel sind in einzelne Hauseinheiten geteilt. Jede Einheit hat an der Straße eine eigene Fassade. So täuscht der großstädtische Block eine Straßenrandbebauung mit unterschiedlichen Gebäuden vor. Die Mietwohnungen sind klein und haben enge Loggien. Im Erdgeschoss nach Süden sind Vorgärten angeordnet, ansonsten schotten sich die Bewohner auf Straßenebene in ihren Wohnungen vor Einblicken ab. An der Sigmund-Bergmann-Straße mit Durchgängen zum Hof, Tiefgarageneinfahrten und Müllcontainern ist der Anblick ziemlich trostlos.

 

Es ist nicht nur die weitgehende Abriegelung trotz der kaum wahrzunehmenden konischen Aufweitungen, sondern auch die teilweise Vernachlässigung der Wasserseiten des Quartiers, die kritisch zu sehen sind. In den Uferbereichen stehen zwar teilweise mächtige Bäume, es wurden dort auch Spielplätze eingerichtet, aber es fehlt ein Konzept mit eigener Handschrift für die Freiräume.

 

Zur Blockstruktur hinzugekommen ist deutlich später die «Havel Perle», ein 17-geschossiges Hochhaus mit – passend zum Namen – 76 freifinanzierten Wohnungen als Dominante des Quartiers, die wohl auch zu einer besseren Durchmischung der Bewohnerstruktur beitragen soll. Beim Berliner Senat ist zur Wasserstadt nachzulesen, dass die stadtentwicklungspolitischen Rahmenbedingungen wechselten und sich «die Entwicklungsziele der veränderten Nachfrage auf dem Immobilienmarkt anpassten» – wahrscheinlich auch mit diesem Hochhaus. Es steht in der Achse der Spandauer See-Brücke von 1997, die den Ortsteil Hakenfelde, zu der die Havelspitze gehört, mit Haselhorst verbindet. Die Brücke ist ein markantes, in seiner Gestalt und Materialwahl ebenfalls «städtisch» gedachtes Bauwerk von Walter A. Noebel. Ansonsten verfügt die Blockstruktur der Havelspitze über einen Platz zwischen den Blöcken mit den leider kümmer lichen Treffpunkten Bäcker Süßbrot und Weinbar Seegert›s. Auch dieser Platz ist ohne jeden Bezug zum umgebenden Wasser. Die Bewohnerinnen und Bewohner halten sich dort nicht auf.

 

Im Norden grenzen die Blöcke an die 120 Meter lange, niedrige und dadurch wenig auffällige Spandauer Kabelproduktionshalle von Hans Poelzig, errichtet in den Jahren 1928–30 für das Kabelwerk Cassirer und heute das Depot für die Stiftung Stadtmuseum Berlin. Eine sicherlich passende Nutzung. Die rundum verschlossene Halle trägt zwar nicht zur Aktivierung des Quartiers bei, aber das denkmalgeschützte Gebäude erklärt die Gestaltung vieler Erdgeschosse, Sockelzonen und ganzer Fassaden mit Ziegel. Westlich der Halle errichtete die Gewobag 2018–21 zwei von Bollinger + Fehlig Architekten geplante Punkthäuser, die mit einem zweigeschossigen Sockel in Ziegel ebenfalls die Ästhetik der Halle aufnehmen. Sie treten von der Hugo-Cassirer-Straße zurück und erweitern die Kreuzung zu einem weiteren Platz. Wie der Wohnturm stehen auch diese Bauten in keinem Bezug zur ursprünglichen städtebaulichen Planung.

 

Im Norden der Havelspitze schließen nach der Rauchstraße der «Wasserbogen», ein mächtiger, gekrümmter Wohnungsbau, der dem Maselake kanal folgt, und davor ein weiterer Gebäudeblock an, beide von Grobe Architekten. Man ist unmittelbar am Wasser, und in der ersten Planung war sogar geplant, dass man vom Wasserbogen am Kanal direkt in sein Boot steigen kann. Die siebengeschossigen Bauten blieben jedoch lange eine separate Wohnanlage ohne Einbindung in das gebaute Umfeld.

 

Das Quartier Havelspitze ist geprägt vom Denken einer städtischen Struktur, die an diesem Ort zu massiv ist. Unabhängig davon und von der unzureichenden Berücksichtigung der Wasserlage, ist die Wohnqualität hoch, denn es ist ein ruhiges, abgeschirmtes Wohngebiet an der frischen Luft entstanden. Dem Anspruch aber, ein durchmischtes Stadtquartier zu sein, wird es nicht gerecht – es bleibt eine Pendler-Vorstadt mit Bauten, die die Erweiterung einer Stadt suggerieren, die es hier aber nirgends gibt.

 

Ganz anders der Eindruck auf der östlichen Seite der hier rund 200 Meter breiten Havel. Dort zeigt sich die lange Front vom Haselhorster Quartier Haveleck, das heute «Waterkant» genannt wird und bis 2025 fertiggestellt sein soll. Die Öffnung zur Wasserlage durch ein klar definiertes Grid ist hier besser gelungen. Die Bauten entstanden nach einer Planung von Eike Becker und Dahm Architekten. Weiter im Süden grenzt das ebenfalls zur Wasserstadt gehörende Quartier «Pulvermühle» von Bernd Albers, Nalbach + Nalbach und weiteren Büros an – Blöcke mit klar gegliederten Ziegelfassaden von großer Prägnanz, die sich deutlich absetzen.

 

Ein Manko der gesamten Wasserstadt Oberhavel war und ist die Erschließung. Zwei Buslinien stellen die Verbindung zur den U-Bahn-Stationen Paulsternstraße und Haselhorst her. Der Wiederaufbau der S-Bahn-Strecke Siemensbahn bleibt offen.

 
 

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