Ensemble Modern spielt Johannes Kalitzke –Kommentar zum Vollkommenen

30.01.2024NewsFrankfurter RundschauBernhard Uske —   –  Details

Johannes Kalitzke

Happy New Ears beschäftigt sich mit Johannes Kalitzkes „Werckmeister Harmonies“. Johannes Kalitzke, einer der Komponisten, die auch für den frühen, tonlosen Film komponieren, war zusammen mit Nina Goslar, einer Expertin für den Stummfilm, Gast in der Frankfurter Musikhochschule beim wieder famosen Ensemble Modern und seiner Happy-New-Ears-Reihe. Thema waren Kalitzkes 2020 entstandene „Werckmeister Harmonies“, die mit „Die Werckmeisterschen Harmonien“, des ungarische Filmregisseurs Béla Tarr von 2000, verglichen werden sollten. Kalitzke, 1959 geboren, weiß natürlich wie alle, die die konzentrierten, geringstmöglich geschnittenen Filme Tarrs fesseln, dass der Gestus des Films keiner über dessen sparsame Klangkulisse (geschaffen wie fast immer bei Tarr von Mihály Víg) hinausgehenden Neue-Musik-Behandlung bedarf. Alltagsgeräusche, Hubschrauberlärm, der Krach der Zerstörungswut eines Mobs, der sich in einem Krankenhaus an Mobiliar und Insassen entlädt, eine Sirene. Dazu ein vor die Zeit der Töne-Ordnung unserer mehrstimmigen Musik zurückgebildetes Fragment aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, der Radetzky-Marsch von einer Schallplatte sowie das psychopathische Summen einer der zuletzt geistig zerrütteten Protagonisten. Schließlich einige wenige, von Klaviersequenzen unterstützte bordunartige Klänge aus der Feder Vígs. Kalitzkes Musik entzündet sich am Thema der „Werckmeisterstimmung“ des Films – jener im 17. Jahrhundert von Andreas Werckmeister geschaffenen siegreichen Ordnung unseres Ton-Systems mit seiner in die Oktav gepressten, gleichförmig gemachten Stimmung von zwölf Tönen. Diese möchte der Bewohner eines ungarischen Dorfs abschaffen zugunsten der siebentönigen, nicht ins Korsett der Oktav passenden Stimmungen natürlicher, pythagoreischer Harmonie der Sphärenmusik. Unruhe und Aufstand Eine Metapher des Films für die mentalen Spannungen, die sich im Dorf in Unruhe und Aufstand niederschlagen. Und zugleich ein dialektisches Bild: die antike, göttlich-natürlich Sphärenharmonie gegen die zwanghafte, aber nützliche der wohltemperierten Ordnung mit ihrem Streben nach Systematisierung. Kalitzkes maßgebliches Interesse am ästhetischen Potential zwischen natürlicher Stimmung und der zweckvoll-rationalen Funktionsstimmung ist tatsächlich zu einem über weite Strecken filmmusik-abstinenten, heftig bewegten Werk geraten. Das aber mit den mikrotonalen Stimmungs-Spannungen und Klangverfärbungen zwischen den Klangwelten leuchtet. Wo Arnold Schönberg einst eine „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ komponierte, die es nicht gab, hat Kalitzke einen poetischen Kommentar zu einem vollständigen und vollkommenen Film komponiert.

 
 

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